Untersuchung zu Ankrador und Bandrakon

  1. Reisende aus fernen Ländern
  2. Die Macht der Magie
  3. Briefe aus Dunladan
  4. Gespräch mit Azura Debonaire

Zahlreiche Einwanderer überschwemmen das Land, reißen alte Strukturen aus ihren Fugen und führen zu einem Chaos in vielen Gilden, dessen Ende noch nicht absehbar ist. Viele Leute verlassen aus heiterem Himmel und ohne erkennbaren Grund eine Gemeinschaft, der sie oft Jahre angehörten, um sich wildfremden Gilden, die wie Pilze aus dem Boden schießen, anzuschließen. Doch keine Handlung ist ohne Grund. Was bewegt also diese Menschen, Elfen, Zwerge oder Gnome?

Reisende aus fernen Ländern

Der Kontinent

Fragt man sie nach ihrer Herkunft, so nennen sie vor allem zwei Namen. "Ankrador" und "Bandrakon". Gerüchten zufolge soll es sich um ferne Länder handeln, doch wird der weltgewandte Leser sich nun fragen, wo diese Länder auf einer Karte zu platzieren sind. Wir kennen die Fjords und Inseln des unzivilisierten Nordens, die Felshänge des Westens, die Wüsten und Steppen im Süden und das fruchtbare Land im Osten, doch scheiden die drei erstgenannten Richtungen schon aus, denn sie also grenzen an den Ozean. Bleibt also der Osten, und genau dort sah ich mich um.

Wer kennt ihn nicht, den Stadtstaat Astulin. Händlern wird dieser Knotenpunkt aller Karawanenpfade der östlichen Ebenen sicher ein Begriff sein; und auch die Tavernenwirte wissen zumeist, woher Getreide und Kartoffeln kommen. Alchemisten schätzen das Wahrzeichen der Stadt, den Turm der hermetischen Akademie und Künstler bewundern die alten Galerien der Stadt. Die Oberschicht Astulins ist bekannt für ihre Weltoffenheit; als frühere Handelskapitäne brachten sie Waren über die Flüsse in die Stadt, luden ihre Fracht dort auf Pferde oder Maultiere um und zogen weiter bis nach Eleorath. So kennen sie viele Orte am Fluss und einige sind sogar bis zur Mündung vorgedrungen, um mit ihren kleinen Kuttern das Meer zu erkunden. Wenn jemand von der Existenz dieser Länder wusste, dann sie.

Doch all meine Versuche, mehr zu erfahren, verliefen im Sand. Der Kontinent ist im Osten noch weitläufig, doch Dunladan ist mit Abstand das größte Land. Im Süden sollen Sümpfe sein, in denen Fieber und schlimmere Krankheiten grassieren, gegen welche nur seltsame "Echsenmenschen" (andere Händler bestätigten die Aussage dieses zugegebenermaßen angetrunkenen Kapitäns, so dass ich sie hier aufnehme) gefeit sind; im Norden ist ein großes Ödland, in welchem Orks und Tauren in stammesähnlichen Verbünden leben. Aber nichts, das annähernd an die Beschreibungen von "Ankrador" oder "Bandrakon" herankäme.

Aufbruch zu neuen Ufern?

In der Privatgalerie des Präfekten durfte ich einige Zeichnungen von Seeungeheuern und Monstern bewundert, welche die astulinischen Seeleute auf ihren Reisen bisher zu Gesicht bekamen. Mit dem Anblick einer riesigen, mehrköpfigen Seeschlange – der Präfekt nannte sie Hydra – wurde mir erst bewusst, dass die Seefahrt gefährlicher ist als der Aufenthalt in einem Drachennest. denn während man den Drachen hört und sieht, attackieren die Kreaturen des Wassers ohne Vorwarnzeit. Auf meine Bedenken diesbezüglich meinte der Präfekt schmunzelnd, dass noch keiner der Seeleute sich in wirklich tiefe Gewässer gewagt habe, und dass es vollkommen unmöglich sei, weiter als zwanzig Meilen von der Küste entfernt zu segeln, da Wirbelstürme, hoher Seegang und die allgegenwärtigen Kreaturen dem Schiff binnen Augenblicken den Garaus machen können.

Aufgrund dessen kann ich nun auch die zweite Theorie, dass diese Länder auf anderen Kontinenten lägen, negieren. Es gibt keine großen Inseln im Meer; Evergore ist der einzige Kontinent und Dunladan in seinem Zentrum nimmt mehr als die Hälfte der gesamten Fläche ein. Gäbe es wirklich andere Kontinente, so hätten die Bewohner desselben trotz Kenntnissen in der Schifffahrt keinerlei Möglichkeit gehabt, Evergore zu erreichen. Soweit war die Sache also geklärt.

Die Macht der Magie

Gespräch mit Hochmagier Siratosh

Vereinzelt kursieren auch Gerüchte von sogenannten "Dimensionsportalen", so befragte ich verschiedene Wesen Dunladans, ob sie ein solches Portal gesichtet hätten oder andere Dinge wüssten, die für meine Nachforschungen von Interesse wären. Viele dieser Neuankömmlinge wurden zuerst in Eleorath angetroffen und erzählten dann meist von einer Flucht, die erst vor einigen Tagen begonnen hatte; das Portal oder die Portale müssten also in der direkten Umgebung der Hauptstadt liegen. Mit diesem Wissen und dem Willen, endlich Licht ins Dunkel zu bringen, begab ich mich zu einem Mitglied des Magierrates der Akademie zu Eleorath. Die Gespräche habe ich im folgenden so präzise wiedergegeben, wie es mir möglich war.

Tarer: »Hochmagier Siratosh, wieviel magische Energien müsste man ihrer Ansicht nach kanalisieren, um ein Portal zu erschaffen, mit dem man große Entfernungen innerhalb weniger Tage bewältigen kann? Und wie viel Energie bräuchte man, dieses Portal und sein Gegenstück über diese Zeit aufrecht zu erhalten.«
Siratosh: »Zuerst einmal, werter Tarer, muss euch bewusst sein, dass die Teleportation unmöglich ist. Wir schafften es in all den Tagen nicht einmal, diesen Holzklotz hier mit Hilfe von Magie in ein anderes Zimmer zu versetzen, ohne ihn durch die Tür zu bringen. Unsere Versuche beschränken sich mittlerweile auf die Dematerialisierung von Gegenständen und die anschließende Materialisierung an einem anderen Ort. Wie kompliziert das ist, wird einem Nichtmagier schwerlich einleuchten. Es ist, als würde man ein Haus zerstören und nachher versuchen, es nach einem Bild der Fassade zu rekonstruieren. Die Innenräume allerdings sind von außen unsichtbar und der Baumeister muss sie nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten. Dass dies teilweise abstruse Resultate nach sich zieht, sollte klar sein.«
Tarer: »Verständlich. Wie weit ist die Akademie mit ihren Forschungen in der... Dematerialisierung und Materialisierung?«
Siratosh: »Dazu darf ich keine genauen Angaben machen, doch wenn ich sage, dass wir noch immer Probleme mit dem Innenleben haben, könnt ihr euch denken, wie es bisher aussieht. Wir lösten ein Rebhuhn in arkane Energie auf und ein Magier im Süden Dunladans sollte es wieder beschwören. Nun, das Tier hatte Federn, doch genießbar war es nicht.«
Tarer: »Ah, in Ordnung. Wie stehen dann eurer Ansicht nach die Chancen, dass andere Völker schon das Wissen besitzen, ganze Menschen zu – teleportieren?«
Siratosh: »Ausgeschlossen! Dunladan ist das zivilisierteste Land, das es gibt. Wir sind die Wiege der Kultur und des Wissens.«
Tarer: »Dann ist es ausgeschlossen, dass andere Völker ein Dimensionsportal nahe Eleorath erschaffen haben, um dadurch aus ihrem Land zu flüchten?«
Siratosh: »Was? Man hole sofort einen Sciomanten! Und ja, es ist ausgeschlossen. Ich kenne diese Geschichten von Dimensionsportalen. Ein mächtiger Magier erschafft zwei Tore an verschiedenen Stellen, und sobald er in eines hineingeht, kommt er am anderen wieder heraus. Doch die Wirklichkeit lässt keinen Raum für solche Träumereien. Aus einem anderen Land sagt ihr? Wie sollte er wissen, wo er in Dunladan dieses Portal erschaffen soll? Es hätte mitten in ein Drachennest münden können, auf einem Berggipfel oder in der städtischen Kloake. Nein, vollkommen ausgeschlossen.«
Tarer: »Das ist allerdings ein Argument, das sich nicht widerlegen lässt. Die Theorie mit den Portalen ist also hinfällig. Ich danke ihnen für das Gespräch, Hochmagier.«
Siratosh: »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite. Und seid vorsichtig wegen der Rebhühner im Erdgeschoss, sie sind wichtiges Forschungsmaterial.«

Sariel Ya Ainuras Einschätzung

Auch, wenn mir persönlich die Experimente dieser Magier zunehmend auf die Nerven gehen – wer kommt auf die Idee, Rebhühner zu dematerialisieren? – so musste ich beim Verlassen der Akademie zugeben, dass der Hochmagier recht hatte. Dieses Tor konnte nicht von denen, die sich als Flüchtlinge bezeichnen, erschaffen worden sein. Erstens kannten sie die Örtlichkeit nicht, und zweitens gehen Zauber direkt vom Zaubernden aus. Hatten sie also Freunde in Dunladan gehabt, die es erschaffen hatten? Auf die Frage, wieviel magischer Energie es bedürfe, ein solches Portal aufrecht zu erhalten, war der Hochmagier nicht eingegangen, doch es musste eine Menge gewesen sein. Um näheres zu erfahren, befragte ich den ehemaligen Hohepriester der dunklen Stadt Duath, Sariel Ya Ainura.

Tarer: »Nun denn, Sariel Ya Ainura. Da die "Ars magica" eure Stellung als Koriphäe auf dem Gebiet der arkanen Künste noch einmal bestätigt hat, komme ich nun zu euch. Mich beschäftigt die Frage, wie viele Zauberer benötigt würden, um ein sogenanntes "Dimensionsportal" zu erschaffen...«
Sariel: »Nun denn, die Antwort auf diese Frage gestaltet sich äußerst schwer. Die Unterlagen über Dimensionsportale sind fast gar nicht vorhanden, nur einige Randbemerkung in Texten aus den alten Zeiten sind zu finden. Die Übersetzungen hierzu sind zudem äußerst schwierig, da auch die Sprache bisher nur zum Teil aufgeklärt wurde. Um also auf die Frage zu antworten, bedarf es einiger Punkte:

Tarer: »Das klingt kompliziert. Für mich als Laien wäre es also vollkommen ausgeschlossen, solch ein Tor zu erschaffen. Was denkt ihr, wie viele Magier gibt es in Dunladan, denen die Kenntnis zu solch einer Beschwörung gegeben ist?«
Sariel: »Als magischer Laie wäre es Euch unmöglich, ja. Es müssten ungeheuer große Kräfte angestrengt werden, um ein solches Tor zu erschaffen. Wenn ein einzelner Magier es schaffen könnte - die Betonung liegt auf "könnte" - so würde es ihn mit Sicherheit das Leben kosten. Dies würde nicht nur seine eigene astrale Energie vollends aufbrauchen, sondern auf Kosten des Lebenssaftes erstellt werden müssen. Dies zumindest kann man in etwa aus den Überresten der überlieferten Bücher entnehmen.
Zudem lässt sich erkennen, dass die hohe Kenntnis aller Magien eine Grundvoraussetzung zu sein scheint. Ein Novizentum in einer der Magien würde ein solches Unternehmen fehlschlagen lassen. Die Möglichkeit also wäre die Kombination verschiedener Magier, jedoch sind dazu vermutlich zusätzliche Zauber notwendig. Jedoch liegen keinerlei Unterlagen hierzu vor und somit kann dieser Zauber nicht in diesen Landen verbreitet sein. Mit einem Wort: in Dunladan wäre meiner Kenntnis nach kein Magier hierzu fähig. Es gibt jedoch zwei Ansätze, die ein solches Ereignis womöglich begünstigen können:

Dieser Umstand würde auch eine zufällige Entstehung eines solchen Portals begünstigen. Wie wahrscheinlich dies jedoch ist, steht in den Sternen.«

Briefe aus Dunladan

Auch wenn ich mich alleine mit der Aussage von Hochmagier Siratosh nicht hatte zufrieden geben wollen, so musste ich nun eingestehen, dass die Wahrscheinlichkeit der Dimensionsportal-Theorie gegen Null ging. Sariel Ya Ainuras Worte weckten zwar neue Fragen, doch beschlich mich das Gefühl, dass ich die Antwort darauf gar nicht wissen wollte. Ich war schlichtweg ratlos. Wie sollten diese Leute dann nach Dunladan gekommen sein? Wahllos ging ich durch die Bevölkerung, befragte diesen und jenen, doch einen Erfolg erzielte ich nicht. Mein Augenmerk richtete sich nun auf einige bestimmte Wesen, die das Land beobachteten und Veränderungen jeglicher Art gespürt haben mussten. In Briefen bat ich sie, mir ihre Feststellungen zu dieser Begebenheit zu schildern. Die Antworten habe ich hier abgeschrieben.

Von Nephaiston

Geehrter Tarer Falassion,

die Entwicklung Dunladans in den letzten Sonnenzyklen bereitet mir Kopfzerbrechen. Immer mehr Bewohner reden von untergehenden Länder oder Welten, wobei sie sich nicht einmal einig sind, ob es nun Länder oder Welten waren. Oft höre ich Bürger über Ankredore oder Bandrekun oder so ähnlich reden. Ich traue mich nicht einmal mehr an den Pranger, da so viele Irre unterwegs zu sein scheinen. Unsere Jünglinge lesen nicht mehr, sie hören sich die Reden verrückter Schwätzer an. Das soll unsere Zukunft sein? Jünglinge, die Leuten zuhören, welche von Orten erzählen, die uns nicht einmal bekannt sind, über die nie etwas niedergeschrieben wurde? Doch Gespräche, die ich zu diesem Thema führte, zeigten mir oft, dass es viele nicht einmal interessiert. Es ist für Niemanden von Interesse zu sehen, dass Dunladan nur untergeht, wenn alle diesen Lügnern glauben. Wenn es diese Orte gab, wieso konnte ich sie auf keiner Karte finden, sie nie besuchen? Doch es werden immer mehr, die uns eines Besseren belehren wollen. Woher kommen sie? Ich selbst war an den Abgründen der Meere und sah mich mit der Unmöglichkeit, sie zu überqueren, konfrontiert. Haben die Götter noch andere Länder als Dunladan geschaffen? Wenn ja, wieso sollten sie uns von ihnen fern halten?

In einer Zeit, in der Ehre nur noch wenig zählt und die alten Werte selbst von ihren eigenen Anhänger zerstört werden, müssen wir da auch noch unsere eigene Existenz anzweifeln?

Es freut mich, dass ihr meine Meinung für wichtig genug haltet, sie in euren Bericht aufzunehmen,

Nephaiston

Von Ravenna Rabenstolz

Ankrador, Bandrakon...

Ja, ich hörte schon von diesen Welten, denn das Auge offenbarte mir vieles, das nur wenige zu ergreifen vermochten zu einer Zeit, ehe die Wände der Welten brüchig wurden. In der Tat heißt es sogar, daß jene, aus deren Schoß ich gerissen wurde, einst auf der Welt Bandrakon gelebt haben soll, und nur durch die Macht der Drachen und der Götter soll ich nach Dunladan gestoßen worden sein. Tiefer Meditationen und der Sicht des Göttlichen verdanke ich das Wissen um eine Welt zwischen den Welten, in der nur das Immaterielle, das Geistige existiert, existieren kann – so wie in der stofflichen Welt die Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft sich zeigen, so ist in jener Zwischenwelt nur der Geist vorhanden, das fünfte Element der Unsichtbaren Welt. Diese Unsichtbare Welt, die man nur durch Meditation, im Traum oder durch die Gnade der Götter berühren oder gar betreten kann, umgibt alle anderen Welten und trennt sie voneinander; nichts Stoffliches kann sie passieren.

Nun geschah es aber vor einigen Monaten, daß etwas die Unsichtbare Welt erschütterte. Wie ich später erfuhr, hieß es, die Götter selbst hätten zwei Welten aus dem Muster der Wirklichkeit gerissen, und das Vakuum, das da entstand, hätte die Unsichtbare Welt beinahe zerrissen. Ich kann mir gut vorstellen, daß einige der Seelen, die damals aus ihrer Existenz gerissen wurden, durch die plötzlich porösen Grenzen der Unsichtbaren Welt gesogen und hier in Dunladan in andere Körper geworfen wurden - auch die Tatsache, daß alte Bekannte und Freunde plötzlich wie Fremde wurden und ihre alten Bande in Dunladan zerschnitten, spricht dafür, daß fremde Seelen von ihren Körpern Besitz ergriffen.

Seitdem versuchen diese entwurzelten Seelen, Dunladan zu übernehmen. Manche von ihnen tragen Gesichter von Personen, die wir zu kennen glaubten, die aber nicht mehr sind. Andere sind in jungen, unerfahrenen Körpern, und prahlen davon, welche Stärke sie einst besessen haben, in jenen anderen Welten. Von beiden Arten geht eine große Gefahr aus, denn diese entwurzelten Seelen sind verbittert und zornig, selbst wenn ihr Körper eine freundliche Miene macht. Ihnen wurde von Mächten jenseits der Götter das Geschenk des Todes und der Wiedergeburt verwehrt, und so klammern sie sich an Erinnerungen an etwas, das nicht mehr ist, und sehen oft voll falschem Stolz und Überheblichkeit auf jene herab, welche wahre Dunladaner sind.

Ich sagte, "eine große Gefahr", und diese liegt eben darin: Dunladan hat eine Geschichte und seine eigene Vergangenheit, welche von den entwurzelten Seelen Ankradors und Bandrakons am liebsten ausgelöscht würde. Noch mag man sie belächeln, die Jünglinge, die von altem Ruhm und Gloria sprechen, doch auch die körperlich Schwachen mögen Herzen vergiften. Wenn wir zu lange zulassen, daß die Entwurzelten haltlose Anschuldigungen gegen Dunladaner vorbringen, welche sie mit Verbrechern ihrer Heimatwelt verwechseln; wenn wir zu lange zulassen, daß die verbitterten Seelen ihren Haß auf alles Dunladanische nähren und verbreiten können, dann wird Dunladan, wie wir es kannten und mit gestalteten, bald untergehen, und kein Feuer des Himmels wird uns retten können.

Gespräch mit Azura Debonaire

Es sah also schlecht für diese Neuankömmlinge aus. Doch wer mich kennt weiß, dass ich nicht allzu schnell aufgebe, und so suchte ich schließlich das Gespräch mit meiner alten Freundin, der Bibliothekarin Azura Debonaire.

Tarer: »So, Azura. Wie ich dir schon angedroht habe, habe ich diesmal einige Fragen an dich. Es geht um diese sogenannten Flüchtlinge...«
Azura: »Ah, ich fragte mich schon, wann die Krone endlich diesen Lügenmärchen ein Ende setzt. Gut, dass du es in die Hand genommen hast, Tarer.«
Tarer: »Aber, aber, ich bitte dich. Wie du weißt, arbeite ich nicht mehr für Donkar. Aber meine Leser wünschen ja, über solche Vorfälle wie diesen aufgeklärt zu werden.«
Azura: »Das weiß ich doch, aber in deinem Herzen bist du noch immer Dunladaner, auch wenn du auf dem Papier nicht mehr in Diensten des Königs bist. Doch lass dich nicht ablenken – was gibt es mit diesen Flüchtlingsgeschichten?«
Tarer: »Alle Gerüchte, wie sie nach Dunladan gekommen sind, habe ich schon entkräftet. Doch noch immer behaupten einige felsenfest, Flüchtlinge zu sein. Was hältst du davon?«
Azura: »Hartnäckiger Irrglaube ist keine Seltenheit, und schon gar nicht bei Apokalypsegeschichten wie diesen. Erinnerst du dich an den irren Wanderprediger, der vor einigen Jahren das Ende der Welt voraussagte? Man sagt, er wurde von einem Blitz erschlagen. Ob Zufall oder Strafe der Götter – ich weiß es nicht. Fest steht, dass die Welt nicht wie prophezeit untergegangen ist, noch immer leben wir hier, und ein Ende ist nach wie vor nicht in Sicht.«
Tarer: »Du meinst also, dass eine Irrlehre der Ursprung des Ganzen ist?«
Azura: »Einige Verrückte schließen sich zusammen und gründen einen Orden oder eine Sekte. Durch ihre Prophezeiungen fesseln sie die Zuhörer, denn sie sagen vieles voraus, was so unglaublich und wundersam erscheint, dass es die Aufmerksamkeit des einfachen Volkes erregt. Mehr und mehr treten der Sekte bei, ergötzen sich an erfundenen Lehren und zelebrieren berauschende Rituale. Früher musste ich so einen Fall selbst für den König untersuchen; dass diese Leute so überzeugt von ihren Geschichten sind liegt daran, dass sie die Lüge für Wahrheit halten und voll hinter ihr stehen. Dass sogar falscher Glaube und Fanatismus stark machen, ist ein Phänomen, das wir in der Vergangenheit schon zur Genüge beobachtet haben, nicht?«
Tarer: »Sicher, meine Liebe. Ihr meint also, dass es sich wieder einmal um eine Herde Verblendeter handelt, die ihrem Herrn freudig zur Schlachtbank folgen?«
Azura: »Ja. Dass es sich um Verrückte handelt, ist nicht zu verkennen. Sie sind eine ernst zu nehmende Gefahr, wirken sie doch auf den ersten Blick ganz normal. Gefährlich ist nicht der, welcher mit dem Säbel rasselt; sondern der, welcher das Messer im Ärmel hat.«

Das war sie also, die letzte Aussage zu diesem Thema. Von meiner Untersuchung zu Ländern außerhalb Dunladans war ich zu Endzeit-Botschaften religiöser Fanatiker vorgedrungen. Und da sollte noch jemand behaupten, Forschung sei öde und trocken.

Abschließend bleibt zu sagen, dass es keinerlei stichhaltige Beweise für die Existenz dieser Länder gibt; noch gibt es einen Weg, mittels Magie, Schiffen oder anderen Fortbewegungsmitteln zwischen weit entfernten Orten zu reisen. Weit entfernt sei hier alles, was nicht auf dem Kontinent Dunladan liegt. Diese "Flüchtlingsgeschichten" sind also in Wahrheit Lügen, doch wie sie so eine große Resonanz in Dunladan verursachen konnten, ist nach wie vor ein Rätsel. Vor allem die Ansätze von Frau Rabenstolz liegen noch weitgehend im Dunklen, so wäre es sicher sinnvoll, eine zweite Untersuchtung zu diesem Thema durchzuführen. Vielleicht ist auch die Theorie dieser religiösen Fanatiker nicht so abwegig, wie sie mir zuerst schien; doch darauf will ich an dieser Stelle nicht mehr näher eingehen.

In diesem Sinne: Hoch lebe Dunladan!

Tarer Falassion, am 26. Oiletwei im Jahre 758 nach den Bruderkriegen

Heute in Evergore:

Vamarn, 9. Korrons im Jahre 775

Kommende Feiertage: